“Marcello wusste nicht, wie man liebt”
Ein Gespräch mit Giovanna Cau, der Agentin von Mastroianni und Fellini
Als Agentin vertrat Giovanna Cau die prominentesten Namen der italienischen Filmbranche – allen voran Marcello Mastroianni, Federico Fellini und Sophia Loren. Nun feierte der Dokumentarfilm “Diversamente Giovane” Premiere, der Einblicke in die Karriere der heute 88-Jährigen gibt, die weiterhin in ihrem Beruf aktiv ist – die Zigarette als ständiger Begleiter. Im Gespräch erinnert sie sich an die Stärken und Schwächen ihrer Klienten und blickt ein wenig wehmütig auf die Glanzzeit des italienischen Films zurück.
Giovanna Cau: Habe ich nicht. Ich habe nie etwas lanciert. Nie wurde jemand bedeutend, weil ich etwas dazu beigetragen hätte. Diese Person trug diese Bedeutung schon in sich, dann bekam sie – mit etwas Glück – die Chance, sich zu beweisen. Wenn jemand zum Erfolg beitrug, dann Produzenten mit gutem Auge. Im Falle von Marcello war das Regisseur Pietro Germi. Er ließ ihn für “Scheidung auf Italienisch” vorsprechen, obwohl Marcello absolut keine Lust darauf hatte. Aber dann machte er es doch, und er entdeckte, dass Germi einen Tick hatte. Den imitierte er – Germi besetzte ihn, und prompt wurde er zum Star.
Die Welt: Aber Sie hatten doch ein sehr enges Verhältnis zu Mastroianni?
Giovanna Cau: Das ist richtig. Ich stand ihm näher als je einem Mann in meinem Leben – und zu mir hatte er ein engeres Verhältnis als zu jeder anderen Frau. Das Anwaltsbüro, das ich mit zwei Kollegen führte, war für ihn wie ein zweites Heim. Meistens saß er auf dem Sofa; wenn es sehr hektisch wurde, dann ging er für meine Kollegen und mich ans Telefon. Er machte auch Kaffee oder holte Whisky. Wenn er auf Veranstaltungen gehen musste, hatte er oft keine Ahnung, welche Begleitung er mitnehmen sollte – so folgte ich ihm wie ein braves Hündchen.
Die Welt: Worin bestanden seine besonderen Fähigkeiten?
Giovanna Cau: Er hatte ein hervorragendes Arbeitsethos. Und er wusste sehr genau, ob ein Film funktionieren würde – selbst wenn er das Drehbuch nicht gelesen hatte. Bei einem großen Regisseur warf er gar keinen Blick hinein – ich empfahl es ihm, das trotzdem zu tun, damit er wusste, was ihn erwartete. Und bei Nachwuchsregisseuren meinte er “Mir kann doch sowieso nichts mehr was anhaben, dann kann ich auch das noch drehen.” Ihm war alles recht. Und er hatte auch kein falsches Ego. Wenn Sophia Lorens Name im Vorspann vor seinem genannt wurde, hatte er nichts dagegen. Schließlich war sie die Frau des Produzenten.
Die Welt: War er bei Geld auch so bescheiden?
Giovanna Cau: Er hat sich nie beschwert – bis auf eine Ausnahme. Das Einzige, wo er nicht genügsam war, war die Tagespauschale. Jedes Mal, wenn ich ihm die jeweilige Summe nannte, sagte er: “Das reicht nicht.” Denn er hatte keine Lust, den Abend mit dem Regisseur zu verbringen, der sich mit ihm die Tagesmuster anschauen wollte. Marcello ging lieber mit der Crew zum Essen – auf seine Kosten. Und die Produktion war natürlich nicht gewillt, das Dinner des gesamten Filmteams zu bezahlen. Aber er hat auch lukrative Angebote ausgeschlagen. Einmal bot ihm Fiat eine, wie mir schien, astronomische Summe für einen Werbespot. Erst verlangte Mastroianni noch mehr, doch dann kam er zu mir und sagte: “Vergiss es, ich werde nie Werbung machen.” Was er auch nicht getan hat. Bis auf einen Spot in Japan, den niemand außerhalb des Landes zu Gesicht bekam und mit dem er nur jemand einen Gefallen tun wollte.
Die Welt: Wie sah’s mit seinen Schwächen aus?
Giovanna Cau: Er hatte kein Selbstvertrauen – glaubte nicht an sich selbst und seine Fähigkeiten. Und er hat nicht geregelt geschlafen. Sophias größtes Verdienst war es, dass sie immer um 19 Uhr ins Bett ging. Mastroianni dagegen übernachtete gerne mal im Auto – und prompt nickte er beim Make-up ein. Die beiden befanden sich nie in der gleichen Zeitzone.
Die Welt: Kamen sich die beiden je näher?
Giovanna Cau: Marcello hatte den wiederkehrenden Traum, dass er mit Sophia in einem Hochzeitsbett lag. Aber in der Mitte war ihr Mann – Carlo Ponti, der Produzent. In der Realität soll ihm Sophia ihre Liebe gestanden haben, aber damals steckte er gerade in anderen Frauengeschichten, und so wurde nichts daraus.
Die Welt: Wurde er denn seinem Ruf als Frauenhelden gerecht?
Giovanna Cau: Er war nicht der große “Latin Lover”, für den ihn die Leute hielten. Er hatte kein großes Selbstbewusstsein, was sein Aussehen anging. Was auf ihn anziehend wirkte, waren auch nicht die Frauen an sich, sondern andere Aspekte – etwa, wenn die Mutter seiner Angebeteten gut kochen konnte. Ich würde ihn als Mann beschreiben, der nicht wusste, wie er lieben sollte. Er hat sich streng genommen nie wirklich verliebt. Gleichzeitig war er zu sehr intensiven Gefühlen fähig; er verzichtete auf Auszeichnungen, weil er andere Menschen nicht verletzen wollte.
Die Welt: Wie sah denn ein Liebesbeweis von Mastroianni aus?
Giovanna Cau: Basilikum! Catherine Deneuve – Caterinetta, wie er sie nannte – wollte Basilikum im Garten anbauen. Also bat er mich, dass ich ihm eine Pflanze nach Frankreich bringe. Ich stieg damit ins Flugzeug – und fünf Minuten später roch die Maschine danach. Ich hätte vor Peinlichkeit im Boden versinken können.
Die Welt: Sie haben solche Dinge bislang nie öffentlich erzählt.
Giovanna Cau: Das verstand sich von selbst. Meine Kollegen und ich wussten alles, aber wir haben immer dichtgehalten. Auch vor Ehepartnern. Eines Tages kam Fellini vorbei und meinte zu mir: “Um 17:30 Uhr verlässt du das Büro.” Ich verstand kein Wort, doch er rief Giulietta Masina an und sagte: “Ich bin gerade bei Giovanna; wir werden einen Produzenten zum Abendessen treffen.” Ich bestätigte das Ganze auch, obwohl ich immer noch keine Ahnung hatte. Dann meinte er, ich sollte mich nach 17:30 Uhr irgendwo verstecken und nicht telefonieren, denn offiziell wäre ich ja mit ihm beim Essen. Ich fragte ihn, wohin er ginge. Er sagte: “Zu den Gräbern.” – Das waren drei alte Frauen, die ziemlich viel im Leben gesehen hatten. Und in der Tat, sie sahen in der Tat wie Gräber aus.
Die Welt: Wie kann so eine enge Verbindung aus persönlichen und geschäftlichen Belangen funktionieren?
Giovanna Cau: Weil die Leute, mit denen ich zu tun hatte, sehr loyal waren. Damals gab es noch eine ganz andere Ethik. Es gehörte dazu, miteinander befreundet zu sein, wir waren nicht isoliert. Große Regisseure wie Monicelli oder Risi haben sich nicht gegenseitig gehasst, wenn der andere Erfolg hatte. So war auch unsere Firma ein Treffpunkt für alle Filmschaffenden. Ich habe es miterlebt, wenn ein Schauspieler vor gebrochenem Herzen in Tränen zerfloss oder eine Schauspielerin wegen ihrer Steuerprobleme ins Gefängnis abgeführt wurde. Dieses Gefühl von Gemeinschaft geht mir heutzutage ab.
Die Welt: Hätten Sie eigentlich Lust gehabt, ins kreative Lager zu wechseln?
Giovanna Cau: Nein, Politik hat mich viel mehr interessiert. Aber ich erzähle Ihnen eine Anekdote: Einmal drehte Marcello einen Film in Orvieto mit Brigitte Bardot. Ich brauchte von ihm dringend eine Unterschrift, also fuhr ich dorthin. Beim Dreh traf ich seine Mutter, die ihm Gesellschaft leistete. Sie sah mich und meinte zu mir: “Sind Sie Brigitte Bardot?” – Marcello entgegnete: “Mama, bist du verrückt? Das ist Giovanna Cau, meine Anwältin.” Dann sagte seine Mutter etwas Wunderbares: “Mit einem Körper wie ihrem – wieso sind sie Anwältin?”